Gipfel-Verhandlungen mit Scholz Haushalts-Stress beendet? Keineswegs, denn jetzt will die EU viel deutsches Geld

FOCUS-online-Autor Hans-Jürgen Moritz (Brüssel)

Samstag, 16.12.2023, 08:35

Beim voraussichtlich letzten EU-Gipfel dieses Jahres sitzen die Staats- und Regierungschefs an einem großen Pokertisch: Es geht um neue Milliarden für Kiew, alte Probleme mit Budapest, die Schuldenlast Brüssels und einen Bundeskanzler in Geldnöten.

Kay Nietfeld/dpa
Liegt mit der SPD in der aktuellen Umfrage 11 Prozentpunkte hinter der Union: Bundeskanzler Olaf Scholz.

Gerade erst hat Bundeskanzler Olaf Scholz seine eigenen Haushaltslöcher daheim notdürftig gestopft, da rollt aus Brüssel schon die nächste Milliardenrechnung auf ihn zu. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will einen Budgetnachschlag, weil ihr unter anderem die Schuldenzinsen über den Kopf wachsen. Gleichzeitig erspresst Ungarns Regierungschef Viktor Orbán die EU: Neuer Ukraine-Hilfe will er nur zustimmen, wenn er selbst mehr Geld aus Brüssel erhält.

Wie üblich werden fast ein Viertel der Kosten dieser Wünsche beim deutschen Steuerzahler landen. Die Begehrlichkeiten treffen beim EU-Gipfel auf einen deutschen Kanzler, der so klamm ist wie selten, nachdem das Bundesverfassungsgericht seine bisherigen nationalen Budgetplanungen zu Makulatur werden ließ. Entsprechend verbissene Verhandlungen sind zu erwarten.

Budapester Erpressung zahlt sich aus

Während von der Leyen wenig Aussichten darauf zu haben schien, mit ihrer Forderung nach einer frischen Finanzspritze aus den Mitgliedsländern von rund 66 Milliarden Euro für die nächsten Jahresbudgets durchzukommen, gab die EU-Kommissionspräsidentin selbst dem ungarischen Ministerpräsidenten am Vorabend des Gipfels das Signal, dass seine Erpressungsstrategie sich für ihn gelohnt hat: Die Kommission gab rund zehn Milliarden Euro für Ungarn frei, die wegen der Rechtsstaats-Defizite im Orbán-Staat gesperrt waren.

Parteiübergreifende Empörung unter deutschen EU-Parlamentariern folgte. "Mit Orbán sitzt auch Putin am Gipfel-Tisch", befand der Chef der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier. "Die Kommission hätte die Gelder zu keinem schlechteren Zeitpunkt freigeben können", beschwerte sich die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments, Monika Hohlmeier von der CSU.

Kritik-Hagel für von der Leyen - doch Scholz schien Deal nicht abgeneigt

Rasmus Andresen, Haushaltsexperte der Grünen, urteilte vernichtend: "Es ist falsch, im vorauseilenden Gehorsam Orbán die Gelder zu genehmigen und seiner Erpressung nachzugeben." Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sprach von einem "dreckigen Deal", der es dem ungarischen Quertreiber ermögliche, "mit korrupt abgezweigten EU-Mitteln seinen rechtsstaatsfeindlichen Oligarchen-Staat am Leben zu erhalten".

Der deutsche Bundeskanzler hatte zuvor in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag zwischen den Zeilen zu erkennen gegeben, dass er solch einem Deal offenbar nicht abgeneigt war. Die Ukraine müsse "so lange wie nötig" unterstützt werden. Den Haushalt Kiews mit den dafür veranschlagten zusätzlichen 50 Milliarden Euro aus Brüssel zu stabilisieren, habe "für Deutschland Priorität", sagte Scholz

Demokratie in Ungarn als Opfer für Demokratie in der Ukraine?

Diese 50 Milliarden hat Orbán bisher blockiert. Nun, so analysiert Körner, gelte die Devise: "Ursula von der Leyen lässt sich erpressen und opfert die Demokratie in Ungarn, um die Demokratie in der Ukraine zu retten."

Mit "tiefer Besorgnis" wandten sich die Vorsitzenden der Fraktionen von Christdemokraten, Sozialisten, Liberalen und Grünen im EU-Parlament in einem gemeinsamen Brief an von der Leyen und konstatierten, dass eine faire Verteilung von EU-Geld in Ungarn unter dem System Orbán "praktisch unmöglich" sei.

Berliner Spar-Diktat für Brüssel

Und der mehrjährige EU-Haushalt, der unter der Schuldenlast für die Bewältigung der Corona-Krise bröckelt, weil die zu zahlenden Zinsen sich möglicherweise verdoppeln bis verdreifachen? Nun, man müsse bei den Wünschen für das Brüsseler Budget "realistisch bleiben", deutete Olaf Scholz im Bundestag an, was die Kommissionspräsidentin ausbaden soll: empfindliche Einschnitte in EU-Programme. Laut dem Grünen Andresen, dessen Partei in Berlin der Ampelregierung von Scholz angehört, will der Bundeskanzler "massive Kürzungen am Vorschlag der EU-Kommission durchsetzen".

Dafür bereitete von der Leyens ewiger Konkurrent, der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel, eine Streichliste vor. Auf der Strecke bleiben sollen offenbar unter anderem Zukunftsinvestitionen in technologische Innovationen. In Medienberichten war von rund 40 Milliarden Euro die Rede, die sich von der Leyen im Gegensatz zu ihren ursprünglichen Forderungen, die neben höheren Zuweisungen aus den Mitgliedsländern auch neue Kredite umfassten, abschminken soll.

Historischer Gipfel? Dauer-Gipfel? Vorspiel zum Sonder-Gipfel?

17 Milliarden Euro Einsparungen im deutschen Staatshaushalt sind laut Scholz' Regierungserklärung nach schier endlos erscheinenden Ampel-Beratungen geplant. Da kann er ziemlich schlecht in Brüssel die Taschen aufmachen. Die Herausforderungen, denen er sich bei diesem Gipfel stellen muss, sind enorm. "Das wird ein Ratsgipfel, der es in sich hat", sagt der Grüne Andresen voraus. "Wir bekommen sehr unterschiedliche Signale, wie viele Tage es gehen könnte." Gerüchteweise sei auch schon von einem Sondergipfel im Januar die Rede.

Ursula von der Leyens Vize-Präsident Maroŝ Ŝefĉoviĉ aus der Slowakei stimmte vor dem Europäischen Parlament auf Beratungen von "historischer Bedeutung" ein. Die belgische Liberale Hilde Vautmans stellte in der Plenarsitzung vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel fest, dass seit Wochen ein Mann "seinen Schatten auf diesen Gipfel" werfe: Viktor Orbán. Der ungarische Ministerpräsident misst 1,74 Meter.


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